19. März 2024 Timo Hörske - persönlicher Blog
Wahlreform Bundestag

Wahlrechtsreform für den Bundestag

Schon in der konstituierenden Sitzung des 18. Deutschen Bundestages hatte der wiedergewählte Parlamentspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert angekündigt, dass die erheblichen Ausweitung der Anzahl der Bundestagsmandate noch stärkeres Gewicht bekommen werde und ein Handlungsgebot nicht nur seitens des Bundesverfassungsgerichts gegeben ist sondern schon aus der Arbeitsfähigkeit des Parlamentes heraus geboten sein sollte.

So werde ohne eine Wahlrechtsreform, nach Modellrechnungen zur Bundestagswahl 2017, mehr als 700 Parlamentssitze erwartet. Dies widerspricht der 1996 festgelegten Sollgröße von 598 mehr als deutlich.

Hintergründe – Bisheriges und noch gültiges Wahlrecht

Für die Wahl zum 18. Deutschen Bundestag, am 22. September 2013, galt erstmals das mit dem Zweiundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes reformierte Wahlrecht. Diese sind unverändert seit dem 09. Mai 2013 in Kraft und basieren auf den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts und dessen Urteil vom 25. Juli 2012.

Bei den Wahlen zum 18. Deutschen Bundestag am 22. September 2013 fand erstmals das mit dem Zweiundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des Bundeswahlgesetzes reformierte Wahlrecht Anwendung. Die Wahlrechtsänderungen sind am 9. Mai 2013 in Kraft getreten. Sie sollen die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 25. Juli 2012 umsetzen.

Die Leitsätze des Gerichtes waren:

(1) Die Bildung der Ländersitzkontingente nach der Wählerzahl gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 BWG ermöglicht den Effekt des negativen Stimmgewichts und verletzt deshalb die Grundsätze der Gleichheit und Unmittelbarkeit der Wahl sowie der Chancengleichheit der Parteien.

(2) In dem vom Gesetzgeber geschaffenen System der mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl sind Überhangmandate (§ 6 Abs. 5 BWG) nur in einem Umfang hinnehmbar, der den Grundcharakter der Wahl als einer Verhältniswahl nicht aufhebt.

Die Grundsätze der Gleichheit der Wahl sowie der Chancengleichheit der Parteien sind bei einem Anfall von Überhangmandaten im Umfang von mehr als etwa einer halben Fraktionsstärke verletzt.

Quelle: BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 25. Juli 2012  – 2 BvE 9/11 – Rn. (1-164) ((http://www.bverfg.de/e/fs20120725_2bvf000311.html))

Das oberste Verfassungsorgan unserer Bundesrepublik hatte in dem Urteil das Verfahren zur Verteilung der Sitze nach § 6 BWahlG ((Bundeswahlgesetz)) für verfassungswidrig und somit nichtig erklärt. Erschwerend kommt hinzu, dass das Gesetz bereits eine Änderung auf Grundlage eines ähnlichen Urteils vom 03. Juli 2008 erfahren hatte. In medias res ist die Überzeugung des Gerichtes, dass das sog. negative Stimmgewicht zu beseitigen ist.

Das negative Stimmgewicht

Als negatives Stimmgewicht wird ein Paradoxon des alten Wahlrechtes bezeichnet: Mehr Zweitstimmen als Erststimmen/ Direktmandaten für eine Partei konnte unter bestimmten Konstellationen zu weniger Sitzen im Deutschen Bundestag führen. Der umgekehrte Fall war ebenso möglich.

Beibehaltung der personalisierten Verhältniswahl

Im Gegensatz zur Wahl zum 17. Bundestag beispielsweise kann kurz zusammengefasst werden: Weiterhin wird die Personenwahl von Wahlkreisbewerbern nach den Regeln der relativen Mehrheitswahl (Erststimme) und die Wahl nach Landeslisten der Parteien im Wege der Verhältniswahl (Zweitstimme) kombiniert. Maßgeblich für die Sitzanteile der Parteien im Bundestag ist das Zweitstimmenergebnis.

Neues Verfahren der Sitzverteilung

Für die Berücksichtigung von Landeslisten der Parteien müssen im Bundesgebiet mehr als 5% der Zweitstimmen oder aber mindestens 3 Direktmandate in den Wahlkreisen errungen werden.

Soweit so bekannt und nahezu unverändert. Bei der Sitzverteilung ergeben sich aber die wesentlichen Unterschiede zum alten Recht. Noch für die vorletzte Bundestagswahl ((zum 17. Deutschen Bundestag)) wurde in einem ersten Schritt errechnet, wie viele Sitze eine Partei bundesweit aufgrund der Zweitstimmen erlangt hatte ((Oberverteilung)). Diese Sitze wurden auf die Landeslisten der Partei gemäß ihrer jeweiligen Zweitstimmenanteile verteilt ((Unterverteilung)). Diese Regelung wurde abgeschafft, nach aktuellem Recht vollzieht sich die Sitzverteilung nicht zuerst auf Bundes- sonder auf Landesebene.

Landeslisten gehen vor

Im ersten Schritt werden für die einzelnen Bundesländer vor der Wahl feste Kontingente der insgedamt zu vergebenen Sitze bestimmt, dies richtet sich nach dem Bevölkerungsanteil der jeweiligen Länder. Bei der Sitzverteilung werden die Mandate auf die Landeslisten gemäß Ihrer Stimmenergebnisse der Zweitstimmen verteilt.

Hat eine Partei in einem Bundesland mehr Sitze in den Wahlkreisen ((Direktmandate)) errungen als sie nach der oben beschriebenen Sitzzuteilung auf die Landeslisten erzielt hat, so bleiben ihr auch diese direkt errungenen Mandate erhalten ((Überhangmandate)).

Jetzt wird es anders: In der 2. Stufe der Sitzverteilung werden die entstandene Überhangmandate durch die Vergabe weiterer Mandate entsprechend der Stimmenverhältnisse der Parteien vollständig ausgeglichen.

Das heißt, dass sich der Anteil der Sitze jeder Partei gemäß ihrem Zweitstimmenanteil um die Anzahl eventueller Überhangmandate erhöht. Also noch so viele weitere Sitze vergeben, bis sich der bundesweite Parteienproporz nach dem Zweitstimmenergebnis in der Sitzverteilung widerspiegelt.

Erneute Wahlreform notwendig

Zusammengefasst und kurz: Je mehr Überhangmandate entstehen um so größer werden auch die Anzahl der Ausgleichsmandate. Im unglücklichsten Fall kann das Parlament so schnell auf 700 Mandate anwachsen. Dies kann nicht im Sinne einen gut funktionierenden Bundestag sein. Daher hat der Bundestagspräsident eine weitere Reform des Wahlgesetzes angestoßen.

In der Wahlreform geht es in der Sache um zwei wesentliche Punkte. Zum einen könnte eine Höchstsitzzahl des Bundestages eingeführt werden. Zum anderen um mögliche verfassungsrechtliche Risiken bei einer ausschließlich einfachgesetzlichen Verankerung dieses Modells auszuschließen, soll eine Umsetzung durch eine entsprechende Ergänzung des Grundgesetzes begleitet werden.

Die Höchstsitzzahl muss sich als Schnitt bei der Bildung von Überhangmandaten, die zu Ausgleichsmandaten führen vorstellen. Bei Erreichen einer festzulegenden Gesamtsitzzahl des Bundestages (z.B. 630) wird die Sitzzahlerhöhung zur Verhinderung von Überhangmandaten abgebrochen. Wenn eine Partei mehr Direktmandate errungen hat, als ihr nach dieser Berechnung zustehen, bleiben ihr diese als ausgleichslose, externe Überhangmandate erhalten.

Im Grundgesetz heißt es in Art. 38:

(1) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages werden in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.

(2) Wahlberechtigt ist, wer das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat; wählbar ist, wer das Alter erreicht hat, mit dem die Volljährigkeit eintritt.

(3) Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz.

An dieser Stelle möchte Prof. Dr. Lammert gerne das Wahlsystem der Personenwahl mit einer verbundenen Verhältniswahl festschreiben, sowie den Bundesgesetzen mehr Einfluss und verfassungsmäßige Sicherheit verschaffen. Nähere Informationen und ausführliche Begründungen können hier eingesehen werden: Vorschlag des Bundestagspräsidenten Lammert zur Wahlrechtsreform

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert


The reCAPTCHA verification period has expired. Please reload the page.